„Es war einmal“ eine Brücke, es gibt sie auch heute noch, aber sie ist nun schon alt.
Sie wurde in einem Sommer des letzten Jahrhunderts fertig gestellt, und weil sie zunächst auf etwas wackligen Füßen stand, baute man weiter an ihr. Sie wurde kräftiger, und schon bald konnten Kinder darüber gehen, springen und tanzen und erfreuten sich der Brücke, und die Brücke freute sich über die fröhlichen Kinder. Darum schlossen sie Freundschaft miteinander.
Die Brücke ist keine Besonderheit. Man hat sie aus warmem Holz gebaut, und es ist noch Leben in ihr, das von alten, kraftvollen Bäumen. Sie spricht ihre einfache, ganz individuelle, klare Brückensprache, die Kinder und freundliche Menschen wahrnehmen und verstehen können und alle, die sie ein bisschen mögen.
Das Leben ist schön, sagt dann die alte Brücke.
Die Brücke wurde verstärkt, und bald führten viele Wege zu ihr. Es kamen viele Kinder und spielten bei ihr. Auch Jugendliche zog es immer wieder zu ihr hin. Sie setzten sich auf das breite Geländer und erzählten sich von Kummer und Freude - und die Brücke hörte zu. Manchmal ächzte sie auch, weil ihr der jugendliche Drang etwas zu stark und zu laut wurde, und sie hatte ein wenig Sorge, in Brand zu geraten, wegen der vielen brennenden Zigarettenstummel, die ihr auf den Kopf fielen und zertreten wurden. Jedoch sie geriet nie in Brand und gewöhnte sich auch an manche unschönen Dinge. Immer jedoch blieb eine treue Verbindung zu den Menschen.
Später stellte man eine Bank ganz dicht neben sie. Darauf setzen sich die Spaziergänger, wenn sie müde waren, und die Brücke hörte viele Geschichten mit an, die von Freuden und noch mehr von Sorgen erzählten.
Heute hat sie am liebsten die älteren Menschen, die nun genau so alt oder auch älter oder jünger sind, denn sie besuchen sie immer sehr treu, - und was die Leute so aus ihrem Leben berichten, das ist manchmal noch hoch interessant für die alte Brücke.
Sie ist sehr glücklich, immer noch, auch deshalb, weil sie weiß, dass sie ein Stückchen Weg ist, der Menschen ermöglicht, einige Schritte über eine Unwegsamkeit zu machen.
Sie tut weiter ihre stille Pflicht, bis sie sie nicht mehr ausüben kann. Das hat sie sich allen Ernstes mit ihrem fröhlichen alten Brückenherzen vorgenommen, und manchmal ist es ihr so, als gehöre sie zu den Kindern, die immer noch in ihrer Nähe spielen.
Sie ist eine zufriedene Brücke, und wenn einer abfällig über sie spricht, weil sie schon alt ist, dann macht es ihr nicht so viel aus, denn sie hat ihr Alter längst angenommen. Und manchmal spürt man sogar ein kleiner Scherz und ein kleines Singen in ihr.
Die Brücke grüßt heute alle ihre alten und jungen Spaziergängerfreunde und die, die sie aus der Ferne grüßten.
Sie wurde jetzt etwas ausgebessert und es wurde ihr ein wenig neue Farbe gegeben, und einer hängte einen Kasten mit Frühlingsblumen an das bunte Geländer. Deswegen ist sie glücklich, und sicher wird sie von den kleinen Geschenken des alten Lebens träumen.
Am liebsten würde sie ja zu einem Brückenfest einladen, aber so viele Menschen trägt sie nicht mehr, und deshalb freut sie sich über jeden einzelnen Besucher auf der kleinen Bank und schaut zu, wenn einer die Vögel füttert, und manchmal setzt sich einer dieser kleinen gefiederten Freunde zu ihr aufs alte Geländer und singt.
Dann hört sie ganz still zu, obwohl sie am liebsten mitsingen würde.
Marianne Reepen