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Der Sinn des Lebens

 

Wieder einmal führte mich mein Weg  durch den dunklen Park, ein wenig konnte man den Mond zwischen den im lauen Wind auseinander stiebenden Wolken erkennen.  Traurig steuerte ich eine Parkbank an, auf der ich schon so oft gesessen hatte, um über alles nachzudenken, was  mein Leben so nachhaltig verändert hatte.

Ich schreckte hoch, denn hier in dunkler Nacht setzte sich ein kleines Mädchen zu mir.

Eine zarte Stimme flüsterte: "Warum bist du traurig?“

 „Ach“, sagte ich, „ich bin verzweifelt, denn immer mehr dunkle Gedanken stürmen Tag für Tag auf mich ein. Ich verlor mein Kind und den Mann, den ich liebte. Nichts ist mehr so, wie ich es mir einmal erträumte. Ich habe kein Glück und bin nun auch noch erkrankt. Ich überlege, wie es weitergehen soll.“

"Zeig mir doch mal dein rosa Tütchen,"  forderte mich das Mädchen auf, "wo hast du denn dein rosa Tütchen? Ich möchte da mal hineinschauen.“

"Was für ein rosa Tütchen?“ fragte ich sie verwundert.

"Greif mal in deine Tasche, da müsste es doch drin sein."

 Zögernd tastete sich meine Hand in meine Jackentasche und tatsächlich, ich zog etwas heraus, doch enttäuscht hielt ich es hoch: "Ich habe nur ein schwarzes Tütchen.“

Wortlos griff das kleine Mädchen danach, öffnete  vorsichtig  mit ihren zarten kleinen Fingern den Verschluss und sah in mein schwarzes Tütchen hinein.

Ich bemerkte, wie es erschrak.

 „Es ist ja voller Alpträume, voller Unglück und voller schlimmer Erlebnisse!“

"Ja sicher, das sagte ich doch eben. Es ist eben so, deshalb bin ich ja schon so lange verzweifelt und weiß nicht mehr weiter."

"Hier nimm", meinte das kleine Mädchen und reichte mir ein rosa Tütchen. "Schau hinein!"

Ein wenig gespannt, aber dennoch ohne Hoffnung öffnete ich das rosa Tütchen und entdeckte, dass es voll war mit Erinnerungen an schöne Momente des Lebens  obwohl das Mädchen noch so klein war.

Verwundert sah ich es an.

"Wo ist dein schwarzes Tütchen?", fragte ich neugierig.

"Das werfe ich immer gleich in den Müll, wenn etwas darin ist und kümmere mich nicht weiter drum", antwortete es sanft lächelnd.

„Für mich besteht der Sinn des Lebens darin, mein rosa Tütchen  mit den wunderbarsten Erlebnissen, Bildern und Geschichten gefüllt zu bekommen. Also packe ich alles, was ich Gutes finde, da hinein und immer, wenn  ich beginne traurig zu werden, dann öffne ich mein rosa Tütchen und schaue hinein. Daraufhin geht es mir sofort wieder besser. Wenn ich einmal alt bin, mein Leben zu Ende geht und die schönen Erlebnisse ausbleiben, dann habe ich immer noch mein rosa Tütchen. Es wird bis obenhin voll sein mit Freude, Glück und schönem Erleben  und dann kann ich sagen, ja, ich hatte etwas vom Leben, es war ein übervolles Leben, mein Leben hatte einen Sinn!"

Während es sprach, schloss ich meine Augen und dachte über alles nach. Wie ein Hauch schmiegte sich plötzlich ein kleiner Kuss auf meine Wange und als ich die Augen öffnete, war die Kleine verschwunden.

Neben mir auf der Bank lag ein rosa Tütchen. Ich öffnete es vorsichtig und warf einen Blick hinein. Es war fast leer, bis auf diesen kleinen zärtlichen Kuss, den ich eben von dem kleinen Mädchen erhalten hatte.

Bei dem Gedanken  daran wurde mir warm ums Herz und es fielen mir viele Erlebnisse ein, die so wunderschön gewesen waren. Wie hatte ich sie nur vergessen können. Glücklich machte ich mich auf den Heimweg. An einem Papierkorb machte ich Halt, schaute mir noch einmal das schwarze Tütchen an und warf es dann hinein. Ein wenig schwer fiel es mir, enthielt es doch so viele prägende Ereignisse, doch warm spürte ich dann das rosa Tütchen in meiner Tasche; es war nicht mehr flach, sondern bauschte sich bei jedem glücklichen Erinnern weiter auf.  

 

Köln1969